Videoüberwachung auf Privatwegen
Über eine Kommune erreichte die Datenschutzbehörde eine anonyme Beschwerde wegen einer Videoüberwachung in unmittelbarer Nähe zu einer Ortsdurchgangsstraße. Auf einem angrenzenden Wohngrundstück hatte der Grundstückseigentümer am dortigen Wohnhaus in Ausrichtung der Ortsdurchfahrt eine Domekamera angebracht. Von dort zweigte im rechten Winkel ein Privatweg ab. Dieser führte am Wohngrundstück des Kamerabetreibers vorbei bis zum dahinterliegenden Grundstück des Nachbarn. Beide Nachbarn hatten erst wenige Monate zuvor die Erschließungsstraße von der Gemeinde erworben. Der Kamerabetreiber gab in knapper Form zu verstehen, dass er von einem legalen Kamerabetrieb ausgeht und legte mir zur Rechtfertigung zwei Bildschirmausdrucke vor. Die Kamera war tagsüber auf die Hofeinfahrt sowie den Privatweg gedreht. Außerdem waren auch die Randbereiche des gegenüber gelegenen Mietwohngrundstücks des Verantwortlichen zu sehen und marginal der öffentliche Verkehrsbereich am Beginn der Privatstraße. Nachts drehte die Kamera parallel zum Wohnhaus mit Ausrichtung auf den Hauseingangsbereich des Wohnhauses. Nachdem die wiederholten Versuche der Datenschutzbehörde zur weiteren Sachverhaltsklärung, auch unter zwischenzeitlicher Beteiligung eines Rechtsanwalts, keinen Erfolg hatten, verpflichtete die Datenschutzaufsicht den Verantwortlichen schließlich zum Schutz der von der Videoüberwachung betroffenen Personen mittels eines förmlichen Bescheids unter Androhung eines Zwangsgeldes zur Herstellung rechtmäßiger Zustände. Die Anordnung wurde in Anbetracht der Massivität des Grundrechtseingriffs mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen, um zu verhindern, dass der Verantwortliche im Fall einer Klageerhebung die Kamera auf unbestimmte Zeit weiterbetreiben kann.
Gegen diese förmliche Anordnung setzte sich der Verantwortliche mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sowie einer Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht zur Wehr. Nach seinem Bekunden habe er zwei Tage vor Erlass der Anordnung die Kameraausrichtung so verändert, dass sie nur noch auf seine Grundstückseinfahrt zeigt. Das Gericht hatte sich in der Sache darüber hinaus mit mehreren strittigen Wertungen und Rechtsfragen im Hinblick auf die zur Rechtsverteidigung angeführten Argumente des Kamerabetreibers zu befassen. Zunächst galt es zu klären, welche Bedeutung der geänderten Kameraausrichtung zukam. Denn davon hatte die Datenschutzbehörde zum Erlasszeitpunkt keine Kenntnis, sodass die Entscheidung nur auf die bis dahin bekannten tatsächlichen Verhältnisse gestützt werden konnte. Das Verwaltungsgericht stimmte darin überein, dass die Datenschutzbehörde einzig und somit rechtsfehlerfrei ihrer Entscheidung nur die ihr bekannten Sachverhalte zugrunde legen konnte. Die Verantwortung für die neue Sachlage sah es einzig in der Sphäre des verantwortlichen Kamerabetreibers. Dieser hätte vor Anordnungserlass über die geänderte Kameraausrichtung informieren müssen. Weiter ging es um die Frage, ob die Datenschutzvorschriften überhaupt Anwendung finden oder die Videoüberwachung auch jenseits der Grenze des Wohngrundstücks von
der „Haushaltsausnahme“ (Haushaltsprivileg) gedeckt war (Art. 2 Abs. 2 Buchst. c Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO). Der Verordnungsgeber nimmt darin private und familiäre Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Datenschutzvorschriften aus. Nach der Wertung des Gerichts ist diese Vorschrift jedoch eng auszulegen. Sie nimmt lediglich den persönlichen Bereich, wie Vorgänge des Privat- und Familienlebens von Einzelpersonen, von der Geltung des Datenschutzrechts aus. Mit der Videoüberwachung des öffentlichen Straßenverkehrs oder des privaten Raums Dritter verlässt eine Kamerabetreiberin bzw. ein Kamerabetreiber jedoch diesen Rahmen. Da der überwachte Bereich auch die öffentliche und private Straße sowie das angrenzende Grundstück betraf, war folglich die Grenze der Ausnahmevorschrift überschritten. Der Verantwortliche versuchte auch, die Zulässigkeit der Videoüberwachung durch Vorlage einer Einwilligung des Miteigentümers der Privatstraße zu begründen. Für einen Rückgriff auf den Einwilligungstatbestand (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a DSGVO) bedarf es der Einwilligung aller betroffenen Personen. Allein aus dem unbestimmten Personenkreis der Nutzer der Privatstraße war diese Vorgabe aus praktischen Gründen schlicht nicht umsetzbar. Die Einwilligung des Nachbars konnte nur dessen mögliche Erfassung legitimieren. Bereits die Beobachtung der Familienangehörigen des Nachbarn sowie Dritter war jedoch schon nicht mehr von der Einwilligung gedeckt. Bei einer Überwachung außerhalb der eigenen Grundstücksgrenze befindlicher Bereiche reduziert sich die Zulässigkeitsprüfung auf die Vorschrift Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f DSGVO (Wahrung berechtigter Interessen). Bei einer im Privateigentum stehenden Straße konnte sich der Verantwortliche auf den Eigentumsschutz (Art. 14 Grundgesetz) berufen. Jedoch hätte es einer konkreten Gefährdungslage für das zu schützende Rechtsgut (Eigentum) bedurft, welches eine unterschiedslose Erfassung aller Straßenbenutzerinnen und -benutzer notwendig macht. Die in allgemeiner Form gehaltenen (subjektiven) Befürchtungen des Kamerabetreibers reichten hierfür nicht aus. Weiter ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass mit Schädigungsabsicht handelnde Personen im Regelfall im Schutz der Dunkelheit und zudem maskiert vorgehen. In jedem Fall wäre es bei der Interessenabwägung, insbesondere anhand der Schwere und des Gewichts eines mit der Videoüberwachung verbundenen Grundrechtseingriffs, zu einem Überwiegen des Betroffeneninteresses gegenüber dem Überwachungsinteresse gekommen. Die vom Kamerabetreiber am Beginn der Privatstraße angebrachten Pflastersteine zum Zweck der optischen Abgrenzung konnten das Verwaltungsgericht auch nicht überzeugen, ebenso wenig wie das teils private Miteigentum an der Privatstraße. Vielmehr war für den Richter maßgeblich, dass die Privatstraße ungehindert und ohne Überwindung einer physischen Grenze betreten werden kann. Ferner sind optische Hinweise auf die Videoüberwachung und ein Betretungsverbot nicht geeignet, das Aufsuchen der Anliegergrundstücke von Personen ohne familiäre oder verwandtschaftliche Berührungspunkte (wie Post oder Lieferanteninnen und Lieferanten) zu verhindern. Überdies kann eine Beschilderung auch Kinder oder andere des Lesens Unkundige nicht vom Betreten des überwachten Bereichs abhalten. In der Konsequenz konnten auch die diesbezüglichen Bemühungen des Kamerabetreibers keinen legalen Kamerabetrieb begründen. Damit lassen sich aus der Gerichtsentscheidung folgende Erkenntnisse ziehen:
- Die „Haushaltsausnahme“ des Art. 2 Abs. 2 Buchst. c DSGVO ist eng auszulegen. Davon erfasst werden nur solche Vorgänge des Privat- und Familienlebens von Einzelpersonen, die objektiv betrachtet ausschließlich persönlicher oder familiärer Art sind. Wird auch öffentlicher Straßenraum (auch eine Privatstraße) oder der private Raum Dritter überwacht, wird der persönliche Bereich der „Haushaltsausnahme“ verlassen.
- Für die Einhaltung und Durchsetzung der Datenschutzvorschriften bei Videoüberwachungen kommt es nicht primär darauf an, in wessen Eigentum der überwachte Bereich steht. Entscheidend ist, ob der überwachte Bereich räumlich ausschließlich dem Bereich der privaten Lebensführung (siehe Art. 2 Abs. 2 Buchst. c DSGVO) zuzuordnen ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn dieser ohne Überwindung erkennbarer physischer Barrieren aufgesucht werden kann. Hinweisschilder können ein Betreten von Personen ohne familiäre oder verwandtschaftliche Berührungspunkte, insbesondere von Kindern, nicht verhindern.
- Eine Videoüberwachung lässt sich nur dann auf die Einwilligungslösung (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a DSGVO) stützen, wenn von allen betroffenen Personen eine wirksame Einwilligung vorliegt.
In der Konsequenz veranlasste die aus Sicht der Datenschutzaufsichtsbehörden positive Gerichtsentscheidung den Antragsteller schließlich doch dazu, seinen gerichtlichen Antrag ebenso wie die dort erhobene Klage zurückzunehmen, sodass die behördliche Anordnung letzten Endes Bestandskraft erlangte. Die richterliche Wertung lässt sich auch auf eine Videoüberwachung von über private Grundstücksbereiche führenden Zuwegungen übertragen. Denkbar ist ein derartiger Fall bei Hinterlieger- oder Hammergrundstücken. Damit wird das hintere von zwei hintereinanderliegenden Grundstücken bezeichnet, welches im ungünstigsten Fall ausschließlich über das vordere Grundstück erreichbar ist. Sicherstellen lässt sich dies mit Eintragung eines Wegerechts im Grundbuch in Form eines Geh- und Fahrtrechts (beispielsweise als Grunddienstbarkeit, § 1018 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Möchte nun die Eigentümerin bzw. der Eigentümer des vorderen Grundstücks ihre/seine privaten Grundstücksbereiche überwachen, so hat sie bzw. er den vom Geh- und Wegerecht umfassten Zuwegungsbereich von der Videoüberwachung auszunehmen.
Was ist zu tun? Kamerabetreiberinnen und -betreiber können eine Videoüberwachung außerhalb der eigenen Grundstücksgrenze nicht mit der „Haushaltsausnahme“ rechtfertigen, auch wenn es sich dabei um einen Privatweg handelt. Privatwege dienen dem öffentlichen Straßenverkehr, wenn es keine erkennbaren physischen Barrieren (Zaun) gibt, die zu überwinden wären.
Quelle: SDTB
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