Medienprivileg auch für Onlineportale – was das BGH-Urteil für den Datenschutz bedeutet
Der Bundesgerichtshof hat am 7. Mai 2024 entschieden: Auch rein kommerzielle Onlineportale können sich auf das Medienprivileg nach Art. 85 DSGVO berufen. Damit weitet der BGH den Schutz journalistischer Arbeit klar aus – und schränkt den Anwendungsbereich der DSGVO ein. Datenschutzverantwortliche müssen das kennen und einordnen können.
Worum ging es?
Ein Onlineportal hatte über eine frühere strafrechtliche Verurteilung eines Arztes berichtet. Der Arzt klagte gegen die weitere Veröffentlichung. Das Portal verteidigte sich mit Verweis auf das Medienprivileg.
Der BGH entschied:
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Die Datenverarbeitung diente journalistischen Zwecken.
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Auch rein kommerzielle Angebote (mit Werbung, Clickbait und SEO-Fokus) können unter das Medienprivileg fallen.
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Entscheidend ist die journalistische Zielrichtung, nicht die Erscheinungsform oder redaktionelle Qualität.
Was bedeutet das für die Praxis?
Das Medienprivileg nach Art. 85 DSGVO (in Deutschland konkretisiert in § 57 BDSG) schließt zentrale DSGVO-Pflichten aus – z. B. die Rechenschaftspflicht, Informationspflichten oder das Auskunftsrecht. Das gilt, wenn die Datenverarbeitung ausschließlich zu journalistischen Zwecken erfolgt.
Prüfmaßstab ist laut BGH allein die Zweckbestimmung:
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Nicht: Qualität des Mediums
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Nicht: Organisation als Presseorgan
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Nicht: Gemeinwohlorientierung
Kritik am Urteil
Der BGH geht damit deutlich über bisherige Ansätze hinaus. Kritiker sehen die Gefahr eines Missbrauchs: Plattformen könnten sich pauschal auf „journalistische Zwecke“ berufen, um sich der DSGVO zu entziehen.
Die Literatur (etwa Roßnagel/Nemitz oder Ehmann/Selmayr) hat schon länger gefordert, das Medienprivileg restriktiv auszulegen. Der BGH widerspricht dieser Linie. Die Schwelle für das Medienprivileg ist nun niedrig. Das schwächt die Durchsetzbarkeit von Betroffenenrechten.
Was sollten Verantwortliche jetzt tun?
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Medienangebote prüfen
Wenn personenbezogene Daten veröffentlicht werden, prüfen:-
Liegt ein journalistischer Zweck vor?
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Gibt es eine redaktionelle Aufbereitung?
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Wird eine Abwägung zwischen Informationsinteresse und Persönlichkeitsrecht vorgenommen?
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Keine falsche Sicherheit bei Werbung oder Blogs
Nur weil Inhalte online stehen oder Klicks generieren sollen, heißt das nicht, dass sie automatisch unter das Medienprivileg fallen. Entscheidend ist die journalistische Absicht. -
Dokumentation trotzdem führen
Auch wenn das Medienprivileg bestimmte DSGVO-Pflichten ausschließt, empfiehlt sich eine interne Dokumentation:-
Warum wurde journalistischer Zweck angenommen?
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Welche Abwägung wurde vorgenommen?
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Welche Inhalte wurden veröffentlicht?
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Betroffenenrechte ernst nehmen
Auch im Medienbereich gilt: Jede Datenverarbeitung braucht eine Rechtsgrundlage. Und auch journalistische Arbeit hat Grenzen – etwa beim Umgang mit besonders sensiblen Daten oder bei der Veröffentlichung veralteter oder irrelevanter Informationen. -
Aufsicht kann prüfen – auch bei journalistischen Angeboten
Die Datenschutzaufsichtsbehörden dürfen im Rahmen ihrer Befugnisse prüfen, ob sich ein Anbieter zu Recht auf Art. 85 DSGVO beruft. Die Schwelle ist hoch, aber nicht unüberwindbar.
Fazit
Das BGH-Urteil stärkt den Schutz journalistischer Inhalte – auch bei kommerziellen Onlineportalen. Für den Datenschutz bedeutet das: weniger Eingriffsmöglichkeiten, mehr Begründungsdruck. Unternehmen, die journalistisch arbeiten, müssen den Schutz nicht beantragen – aber im Zweifel belegen können. Für Betroffene wird es schwieriger, sich gegen Veröffentlichungen zu wehren.
Maßnahmen auf einen Blick
Maßnahme | Wer ist betroffen? | Ziel |
---|---|---|
Prüfung auf journalistischen Zweck | Medien, Blogger, Plattformbetreiber | Klare Abgrenzung zur werblichen Verarbeitung |
Interne Abwägung dokumentieren | Verantwortliche mit journalistischen Inhalten | Rechenschaft bei Beschwerden oder Anfragen |
Keine schematische Anwendung von Betroffenenrechten | Datenschutzbeauftragte | Schutz der journalistischen Freiheit respektieren |
Schulung zu Art. 85 DSGVO | Unternehmen mit PR- oder Medienabteilungen | Klarheit über Ausnahmen und Grenzen schaffen |
Wenn Sie selbst Medieninhalte verantworten oder auf Beschwerden reagieren müssen: Das Urteil gibt Rechtssicherheit – aber keine Carte blanche. Journalistischer Zweck schützt, aber verpflichtet auch zur Sorgfalt.
Sind Sie sicher, dass Ihr Unternehmen oder Behörde im Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit optimal aufgestellt ist?
Lassen Sie sich unverbindlich von einem Datenschutzbeauftragten beraten.
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