Digitale Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz
Durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien dringt die Erfassung von Daten über ArbeitnehmerInnen immer mehr in den betrieblichen Alltag ein. Die umfassende digitale Protokollierung von Arbeitstätigkeiten wird schnell zur permanenten Überwachung und Kontrolle, die tief in die Rechte und Freiheiten der Betroffenen eingreift. Die Chancen und Risiken sind dabei ungleich verteilt. Während betriebliche Abläufe optimiert werden, geraten ArbeitnehmerInnen unter Druck – und unter Pauschalverdacht. Firmen nutzen permanente Datenerfassung nicht nur zur Sanktionierung von Fehlverhalten und zur Leistungsbewertung, sondern zunehmend als Grundlage für teil- oder vollautomatisierte Entscheidungen, die sich unmittelbar auf den Arbeitsalltag der Beschäftigten auswirken. Die eingesetzten Systeme sind oft komplex und intransparent, das Tempo der Entwicklung hoch. Vor zehn Jahren war etwa noch kaum absehbar, wie weitgehend das Smartphone unseren Alltag verändern wird – auch in der Arbeitswelt. Welche datenverarbeitenden Technologien und Systeme werden heute in Unternehmen eingesetzt? Welche Funktionen bietet die am Markt erhältliche Software? Wie wirken sich diese Technologien auf ArbeitnehmerInnen aus? Inwieweit verändern oder verstärken sie das Machtungleichgewicht zwischen Unternehmen und Beschäftigten? Und wohin geht die Entwicklung?
Die vorliegende Studie gibt einen Überblick über digitale Überwachung und Kontrolle am Arbeitsplatz und über die Verarbeitung personenbezogener Daten über Beschäftigte im Betrieb. Sie dokumentiert, systematisiert und kartographiert relevante Technologien, Systeme und aktuelle Entwicklungen in Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Beschäftigte – über Branchen und Tätigkeitsbereiche hinweg, anhand vieler Fallbeispiele und in einer Form, die im deutschen Sprachraum bislang fehlt.
Neun Fallstudien über am Markt verfügbare Systeme zeigen und dokumentieren, welche technischen Möglichkeiten und Funktionen betriebliche Software in unterschiedlichen Bereichen bietet und wie dabei Daten über Beschäftigte verarbeitet werden. Zwei Fallstudien befassen sich mit Datenpraktiken bei konkreten Unternehmen – Amazon und Zalando. Fünf Fallbeispiele über den konkreten Einsatz datenverarbeitender Systeme bei österreichischen Unternehmen resultieren aus einer kleineren Untersuchung auf Basis von Interviews mit BetriebsrätInnen, die Hans Christian Voigt als Teil des Projekts durchgeführt hat. Zentrales Ergebnis ist eine „Landkarte“ betrieblicher Datenpraktiken, die einen systematischen Überblick darüber gibt, welche Arten von Daten über Beschäftigte in Unternehmen erfasst werden und welche Systeme diese Daten für welche Zwecke verarbeiten. Die Fallbeispiele decken viele Branchen und Tätigkeitsbereiche ab – von Callcenter, Handel, Warenlager und Zustellung bis zur Wissensarbeit im Büro. Neben Systemen für die digitale Steuerung ganzer Unternehmen und für die Zusammenführung und Analyse von Daten reicht die Bandbreite von Software für Kommunikation und Personalverwaltung bis zu Betrugserkennung und IT-Sicherheit. Mehrere Fallbeispiele dokumentieren beunruhigende Produkte, deren Einsatz in Österreich und Deutschland rechtlich nur schwer vorstellbar ist. Aber auch gängige Systeme wie Microsoft 365 oder SAP verarbeiten heute in exzessiver Weise Daten. Einschätzungen über die datenschutz- und arbeitsrechtliche Zulässigkeit der dokumentierten Systeme sind aber weitgehend ausgeklammert und könnten Gegenstand einer Folgestudie sein.
Ausgangspunkt für die Untersuchung war die Frage, wie Betriebe ihre „Datenmacht“ in Form von Informationen über ArbeitnehmerInnen und ihre Tätigkeiten ausnutzen können, um Arbeit digital zu steuern und zu kontrollieren. Wie können datenverarbeitende Systeme genutzt werden, um Produktivität zu erhöhen, Kosten zu senken, Druck auf Beschäftigte auszuüben, Arbeit zu beschleunigen und zu verdichten, Freiräume einzuengen oder Autonomie zu reduzieren? Und wer gestaltet überhaupt Digitalisierung im Betrieb und wer profitiert?
Wie in der Einleitung diskutiert, führt die Ausweitung der Datenerfassung zu großen Herausforderungen für Mitsprache und Mitbestimmung von Beschäftigten und BetriebsrätInnen. Eine von FORBA durchgeführte Befragung von fast 700 Personen aus Betriebsrat und Personalvertretung in Österreich zeigt, dass neuere und komplexe Systeme oft ohne „Betriebsvereinbarung“ zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung eingesetzt werden. Ohne Betriebsvereinbarungen, die regeln, wie ein Unternehmen datenverarbeitende Systeme genau verwenden darf, gleicht deren Einsatz aus Beschäftigtensicht einem Blindflug. Knapp die Hälfte der Befragten sieht die Komplexität der Systeme als Hindernis für deren Regelung. Um die Mitbestimmung zu gewährleisten brauchen Beschäftigte und BetriebsrätInnen mehr Wissen, Schulung und Unterstützung. Diese Studie möchte einen Beitrag dazu leisten.
Die Studie basiert auf mehreren Jahren Arbeit zum Thema und ist sowohl Bestandsaufnahme als auch Startpunkt für weitere Forschung. Sie soll ArbeitnehmerInnen, BetriebsrätInnen und Gewerkschaften ermöglichen, die rasanten technischen und ökonomischen Entwicklungen besser zu navigieren und ist das Hauptergebnis des Projekts „Gläserne Belegschaft“, das in Kooperation mit den zwei großen österreichischen Gewerkschaften GPA und PRO-GE durchgeführt und vom Digitalisierungsfonds der österreichischen Arbeiterkammer gefördert wurde. Wolfie Christl, der Verfasser dieser Studie, arbeitet seit vielen Jahren zur Ökonomie persönlicher Daten im digitalen Zeitalter, zur Macht der Plattformen und zu datenbasierten „algorithmischen“ Entscheidungen über Menschen.
Quelle: Cracked Labs, Institut für kritische digitale Kultur
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