Wenn ein Rechtsanwalt Akten einsieht, nimmt er notwendigerweise auch Daten von Personen zur Kenntnis, die nicht seine Mandanten sind. Diese Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht zu Zwecken der Werbung verwendet werden, da keine Rechtsgrundlage aus Art. 6 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung existiert.
Dem Thüringer Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (TLfDI) lag im Berichtszeitraum folgender Sachverhalt im Rahmen von mehreren Beschwerden zur Überprüfung vor: Eine Rechtsanwaltskanzlei erhob durch Akteneinsichten in mehreren laufenden Großinsolvenzverfahren Gläubigerdaten. Diese personenbezogenen Daten wurden sodann zunächst an einen Verein übermittelt, welcher durch den Inhaber der Kanzlei gegründet wurde. Über den Verein wurden Schreiben an die einzelnen Gläubiger versandt. Darin wurde um den Beitritt in eine Interessengemeinschaft gebeten, die die Interessen der Gläubiger zur Sicherung ihrer Ansprüche bündeln wollte. Dem Schreiben war ein entsprechender Antwortbogen beigefügt. Den Gläubigern wurde angekündigt, dass sie ein Informationsanschreiben hinsichtlich möglicher rechtliche Ansprüche gegenüber den insolventen Gesellschaften oder den Gesellschaftern erhalten würden, sobald sie diesen Antwortbogen zurücksenden würden. Dem Informationsschreiben war dann zumeist eine Vollmachtsurkunde beigefügt und es wurde auf die Gebührenhöhe hingewiesen. Es wurde hier auch eine Frist zur Übersendung der entsprechenden Beauftragung gesetzt.
Als Zweck der Datenerhebung stand daher keine Interessenbündelung bereits bestehender Mandate im Vordergrund, sondern die werbliche Ansprache zur Akquirierung weiterer Mandate für die Kanzlei. Auch der gegründete Verein diente allein diesem Zweck. Der Aufsichtsbehörde sieht die hier erfolgte Erhebung der Daten zum Zweck der Übermittlung an den Verein, die Übermittlung selbst und die Nutzung der personenbezogenen Daten als nicht rechtmäßig an. Die werbliche Ansprache der nicht durch die Kanzlei mandatierten Gläubiger kann auf keine Rechtsgrundlage gestützt werden. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten muss nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe a) Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) rechtmäßig erfolgen. Eine rechtmäßige Datenverarbeitung ergibt sich aus den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 DSGVO. Zunächst erfolgte die Übermittlung der personenbezogenen Daten an den gegründeten Verein zum Zweck der werblichen Ansprache unrechtmäßig. Eine Einwilligung der nichtmandatierten Gläubiger in die Übermittlung der Daten lag nicht vor. Auch auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe f) DSGVO kann die Übermittlung nicht gestützt werden. Danach ist die Verarbeitung rechtmäßig, soweit sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen des Verantwortlichen erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist eine einzelfallorientierte Abwägung im Hinblick auf die Interessen des Verantwortlichen als auch der betroffenen Personen vorzunehmen. Hierbei sind nach Erwägungsgrund 47 die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person, die auf ihrer Beziehung zu dem Verantwortlichen beruhen, zu berücksichtigen. Damit ist auch auf die subjektiven Erwartungen der betroffenen Person im Einzelfall abzustellen.
Daneben ist aber auch zu fragen, was objektiv vernünftigerweise erwartet werden kann und darf. Die Kanzlei verfolgte durch die Übermittlung der Daten werbliche Zwecke, da der Verein den Gläubigern die Beratung der eigenen Vertrauensanwälte, also die betreffende Rechtsanwaltskanzlei, empfohlen hatte. Dies stellt zwar ein berechtigtes Interesse des Verantwortlichen dar, jedoch konnten die betroffenen Gläubiger nicht erwarten, dass deren Adressen, welche aus einem Akteneinsichtsrecht stammen, von einem Rechtsanwalt an einem Verein für dessen Werbezwecke weitergegeben werden. Von einem Organ der Rechtspflege wird erwartet, dass personenbezogene Daten außerhalb der geltenden Bestimmungen insoweit nicht verarbeitet werden. Zudem handelte es sich um eine sehr hohe Anzahl von Personen, welche von der Übermittlung betroffen waren. Daher geht der TLfDI von einem Überwiegen der Interessen der betroffenen Gläubiger aus.
Auch die Nutzung der Gläubigerdaten zu werblichen Zwecken kann auf keine geltende Rechtsgrundlage gestützt werden. Auch hier bliebe allenfalls Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe f) DSGVO (siehe oben). Im vorliegenden Fall überwiegen jedoch die Interessen der betroffenen Personen. Hinsichtlich der Interessenabwägung gilt bereits das vorher Gesagte. Zudem ist die Werbung eines Rechtsanwalts nach § 43b Bundesrechtsanwaltsordnung nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Durch die Übersendung des konkreten Angebots zur Übernahme des Mandates mit Verweis auf die Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz sowie die Fristsetzung hinsichtlich der Mandatserteilung beziehungsweise Rücksendung der Vollmachtsurkunde liegt ein Verstoß gegen diese Vorschrift vor. Insbesondere wird durch die Formulierungen die Wahlfreiheit des noch nicht mandatierten Gläubigers eingeschränkt und dieser bedrängt beziehungsweise in seiner Entscheidungsfreiheit überrumpelt. Auch diese Umstände führen letztendlich dazu, dass die Interessen der nicht-mandatierten Gläubiger überwiegen.
Die Datenschutzaufsicht hat die betreffende Rechtsanwaltskanzlei angehört und hier ein Verbot nach Art. 58 Abs. 2 Buchstabe f) DSGVO hinsichtlich der werblichen Nutzung von Gläubigeradressen aus Insolvenzakteneinsichten sowie der Weitergabe der Daten an andere Empfänger zur Wahrnehmung des gleichen Zwecks erlassen.
Quelle: TLfDI
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