Anspruch auf kostenfreie Klausurkopien im juristischen Staatsexamen
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt die Auffassung der Datenschutzaufsicht: Prüflinge im juristischen Staatsexamen haben einen Anspruch auf kostenlose Übermittlung ihrer Klausuren samt Gutachten in Kopie. Während die Vorteile des europäischen Datenschutzrechts für die Prüflinge unmittelbar spürbar werden, wird für Prüfungsämter möglicherweise zusätzlicher Arbeits- und ggf. auch Kostenaufwand anfallen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Wollten Prüflinge in den juristischen Staatsexamina ihre geschriebenen Klausuren und die Gutachten kostenfrei in Augenschein nehmen, so mussten sie bislang das für sie zuständige Prüfungsamt aufsuchen und dort Einsicht in die Akten nehmen. Geregelt ist dieses Einsichtsrecht in § 23 Abs. 2 Satz 1 des Juristenausbildungsgesetzes NRW (JAG NRW).
In der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde ein Anspruch auf Übermittlung kostenfreier Kopien (in Papierform oder elektronisch) von personenbezogenen Daten festgeschrieben, die Gegenstand der Verarbeitung sind (Art. 15 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 5 Satz 1 DSGVO).
Wenn Prüflinge davon ausgingen, dass dieser Anspruch nun neben das Einsichtsrechts vor Ort treten würde, wurden sie jedoch tatsächlich enttäuscht. Soweit uns bekannt ist, stellte kein Prüfungsamt die Kopien unentgeltlich zur Verfügung. Einige Prüflinge haben sich daher an uns gewandt. Wir haben ihr Anliegen gegenüber dem jeweiligen Prüfungsamt aufgegriffen und dargelegt, dass der begehrte Anspruch besteht. Auch dem Justizministerium NRW haben wir unsere Rechtsansicht vorgetragen, konnten allerdings leider keine übereinstimmende Auffassung erzielen.
Zudem hat die Datenschutzbehörde in ihrer Stellungnahme zur neuen Fassung des JAG NRW darauf hingewiesen, dass sie eine Klarstellung zu dem Bestehen des Anspruchs aus Transparenzgründen für geboten halten.
In der Zwischenzeit hatte ein Prüfling Klage gegen das Landesjustizprüfungsamt NRW erhoben. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt in seinem Urteil die Auffassung der Datenschutzbehörde (Urteil vom 27. April 2020, Az. 20 K 6392/18).
Die maßgeblichen Erwägungen des Gerichts und der LDI NRW sind insbesondere folgende:
- Es kann dahinstehen, ob die Vorschriften der DSGVO aufgrund eines möglicherweise fehlenden Unionsrechtsbezugs der in Rede stehenden Verarbeitung schon gar keine Anwendung finden (vgl. Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a DSGVO), denn § 5 Abs. 8 Satz 1 Datenschutzgesetz NRW (DSG NRW) ordnet in diesen Fällen eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der DSGVO an.
- Das analoge Archivieren der Klausuren stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten dar, die in einem Dateisystem gespeichert sind (Art. 2 Abs. 1 DSGVO, Art. 4 Nr. 6 DSGVO). Die Aufsichtsarbeiten sind nach Kennziffern geordnet und abgelegt, die sich aus Jahrgang und laufender Nummer als Zuordnungskriterien zusammensetzen. Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist damit eröffnet. Letztlich kann allerdings auch diese Frage aufgrund des § 5 Abs. 8 DSG NRW dahinstehen. Für manuelle Sammlungen von Akten, die nicht nach bestimmten Kriterien sortiert sind, wird im Ergebnis die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften der DSGVO angeordnet.
- Es gibt keine Vorschriften, die den Anspruch beschränken könnten. § 23 Abs. 2 Satz 1 JAG NRW lässt sich nicht entnehmen, dass mit dem Einsichtsrecht zugleich ein Ausschluss des Rechts auf Erhalt einer Kopie einhergeht. Die Ansprüche stehen vielmehr nebeneinander. Auch die gebührenrechtlichen Vorschriften des Landes NRW können die Unentgeltlichkeit des Anspruchs nicht beschränken. Die jeweiligen Vorschriften sind zu allgemein gefasst, sodass sie in gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung keine beschränkende Wirkung hinsichtlich der Unentgeltlichkeit haben können.
- Die Argumente, bei einer Anerkennung des Anspruchs sei mit finanziellen Mehraufwendungen zu rechnen und der Betrieb des Prüfungsamts gefährdet, vermögen den Anspruch der Prüflinge nicht auszuschließen. Zum einen wird dem Verantwortlichen die Kostenlast für Ansprüche aus der DSGVO bewusst aufgebürdet. Der Haushaltsgesetzgeber hat sicherzustellen, dass die Ansprüche der Bürger*innen erfüllt werden. Zum anderen ist eine nicht zu bewerkstelligende Mehrbelastung nicht zwingend erkennbar. Prüflinge werden vermutlich mit einer elektronischen Kopie einverstanden sein, sodass der Aufwand für das Anfertigen analoger Kopien abnehmen wird.
Den Prüflingen vereinfacht der Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO den Zugang zu ihren korrigierten Klausuren samt Gutachten – eine Fahrt zum jeweiligen Prüfungsamt ist für eine kostenlose Inaugenscheinnahme nicht länger erforderlich. Ob das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen Bestand haben wird, wird sich im Berufungsverfahren zeigen.
Quelle: LDI NRW
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